Mein lieber Michael,
noch immer zehre ich von unserer gemeinsamen Zeit in Mecklenburg und denke beim Betrachten der Bilder an die vielen schönen Stunden. Deine Stimme beim Rezitieren der glühenden Briefe Goethes an Charlotte Albertine Ernestine von Stein lassen mir noch immer romantische Schauer den Rücken hoch und runter rieseln.
Sicher wird es zahlreiche Spekulationen geben, ob die Beziehungen im Elite Rundfahrtteam der Picardellics nun eher erotisch-platonischer, sexueller oder sportlicher Art seien, nichtsdestotrotz haben wir eine Beziehung, eine haltbare Beziehung, an deren Auswirkungen gestandene Fahrer im Wind zerbrechen. So auch gestern in Ponickau.
Du hattest die Anfänge der Organisation unseres Rennens noch mitbekommen und konntest kurzfristig reagieren als die Hiobsbotschaft des Straßenbaus in Ponickau uns im Sommer überraschte. Deine neuen Flyer mit der angepassten Strecke gingen dann auch dank bike24 rund um die Welt. Entsprechend groß war die Teilnehmerzahl dieses Jahr: Michi, wir hatten 108 Starter in den drei Rennen!
Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie erleichtert ULi war, dass alles lief. Nach dem anfänglichen Helferloch, fanden sich - wie jedes Jahr - mit dem nahenden Termin zunehmend mehr und mehr willige Helfer. Durch die große Runde (wir mussten die Runde aus dem ersten Jahr und dem letzten Jahr kombinieren) konnten wir die vielen Helfer einsetzen, um die 16-Kilometerrunde abzusichern. Unsere Mädels standen die ganze letzte Woche in der Küche, während die Männer Mehl, Früchte, Bleche heranschleppten. Und es hat sich gelohnt. Du warst leider nicht dabei, Michi, aber solch eine Kuchenauswahl hast Du noch nicht gesehen. Und Du kennst ja Neumi. Erst steht er bei der Tante von der AOK am Stand, um deren Körperfettmeßgerät auf Null zu eichen (den Blick von der Frau hättest Du sehen müssen, sie hat es nicht geglaubt) und nach dem Rennen und 15 Minuten am Kuchenstand hat Neumi das Gerät dann auf einen neuen Maximalwert einstellen. Unglaublich der Mann.
Zu dem Zeitpunkt als Du Dich nach Deiner Schicht ins Bett gelegt hast, Michi, hat die Besentruppe bereits die Strecke gefegt. Und das bei sibirischen Temperaturen. Zum Glück wollten wir erst 11.00 Uhr starten. Vereinzelt hat sogar schon die Sonne durch die Wolken geschielt. Darüber war ich auch ziemlich froh, denn ich hatte dem großen Dirk fälschlicherweise 10.00 Uhr als Startzeit angegeben. Entsprechend liebevoll ruhte seine riesige Hand auf meiner Schulter, während seine Faust mir den Unterschied zwischen 10 und 11 nachvollziehbar klar machte. So wurde uns beiden schnell warm. Mein linkes Auge ist einen Tick stärker geschwollen als das rechte Auge. Wir hatten nach dem kleinen Mathekurs sogar noch Zeit für eine Runde über die Rennstrecke und registrierten begeistert die Windkante vor Böhla.
Also Dirk war pünktlich, aber trotzdem kam es wieder einmal nicht zu einer geschlossenen Mannschaftsbesprechung. Es fehlte halt Deine führende Hand, mein lieber Michael. Ich habe meinen Sermon nicht nur einmal erzählt, sondern 10 mal und das wo ich vorm Start so gern rede.
Wenige Sekunden nach dem Start glaubte ich alle Mühen hinsichtlich Teamtaktik verloren. Der DSC hatte mit vier Mann die Spitze in Beschlag genommen und diktierte das Tempo. Was für ein Tempo, Michi. Du hättest ebenfalls Deine liebe Not gehabt. Dirk hat mit Christian dann etwas dazwischen gefunkt, damit unsere Gäste wenigstens in der ersten Runde die Landschaft genießen können und für ihr Startgeld in den Vorzug einer großen Gruppe kommen. Jantel sah inzwischen traurig aus, er vermutete - wie ich auch - das der DSC sich erstmal warm fährt und in der nächsten Runde das Rennen wirklich schnell macht. Aber was soll ich Dir sagen, Michael, ab der zweiten Runde hielten sich die grün-weißen dezent zurück. Wir rätseln nun schon die ganze Nacht, was wohl der Auslöser war. Vielleicht ist Ihnen eingefallen, dass sie noch mit dem Rad zurück nach Dresden müssen oder die Anfahrt von Dresden war zu anstrengend. Wir wissen es nicht. Falls diese Woche einen DSC-Fahrer triffst, wenn Du bei Tageslicht trainierst, frag ruhig mal nach.
Die zweite Runde konnten wir, die DSC-Lücke ausfüllend, unsere Taktik umsetzen. Luma, erholt von der Senioren-EM zurück und Christian zogen das Feld in den Anstieg nach Stölpchen rein. Ich wollte oben noch ein Stück verlängern und heftete mich an den einsamen RG UNI Hamburg-Fahrer. Leider riss das Feld ab und so kullerten wir ein Stück vorn raus. Der Hamburger stellte dann auch sofort fest, dass „ ... es etwas weit für uns zwei sei ...". Naja, was sollte ich sagen, in der zweiten Runde, das ist ja im Prinzip noch vorm Start, und da rede ich eh ungern. Also habe ich geschwiegen. Und er ist weiter mitgefahren. Als uns das Feld eine halbe Runde später wieder hatte (ach, Michi ich hatte zwischenzeitlich schon mit der Sprintprämie - einem MP3 Player - geliebäugelt, da hätten wir gemeinsam Kopf an Kopf Goethes Briefen als Hörbuch lauschen können) war ich mir ziemlich sicher, dass Hamburg nun keine Lust mehr auf Touren vor dem Feld haben würde.
Du weißt ja wie betreuungsintensiv die Kopfjäger sind. Es ist halt ein junger Verein mit vielen jungen Männern und überschießender Kraft. Deshalb war es eine richtige Entscheidung von Neumi und Jantel mit Loreck und einem weiteren Fahrer mitzugehen. Wir hatten ja schon im Vorfeld lange und ausgiebig diskutiert, ob die Sprintwertung in der zweiten Runde nicht etwas spät für die Kopfjäger sei. Es war denkbar knapp. Loreck hat sich den MP3-Player geholt. Neumi lies ordentlich Bremsgummi auf der Felge und den beiden Gästen den Vortritt und musste dann aber notgedrungen als Dritter der vierköpfigen Ausreißergruppe vor Jantel über die Linie.
Michi, Du als Flugzeugfan stehst ja zu gern an der Startbahn und schaust den startenden Maschinen hinterher. Ich sage Dir, in der dritten Runde ist mitten im Feld ein Airbus gestartet. Geräuschlos, aber dermaßen schnell, dass vielen allein beim Anblick des Startes die Luft weg blieb. Eric ist wirklich gut drauf dieses Jahr. Wenn er die Form noch 20 Jahre hält, wird es ein würdiges Mitglied in unserer Seniorenmannschaft.
Er musste dann anderthalb Runden warten bis das Feld wieder ran war. Der Wind war streckenweise schon höllisch. Trotzdem ist Luma in seiner unnachahmlichen Art auf dem Rückenwindstück bis Ponickau in den Wind und hat das Tempo hochgehalten. Das nenn ich Teamtaktik. Ohne Funk und ohne Absprache bereitete Luma Matze und mir das Feld für die Windkante bis Böhla auf. In der Rechtskurve übernahmen Matze und ich und zogen ganz links auf der Straße das Tempo hoch. Kopfjäger Loreck beteiligte sich ebenfalls an der Tempoforcierung und so wurde es ruhig und lang im Feld. Auf dem Stück zwischen Böhla und JJs Kurve musste ich ziemlich nach Luft schnappen. Matze war natürlich nichts anzumerken. Und mit Gonna hatte sich ein würdiger Vertreter in der Spitze gefunden. Die kleine Welle im Wald vorm Ziel habe ich nur noch überwinden können weil Dirk mir einen verbalen Stups mitgegeben hatte. Ich wollte ihn nicht erneut enttäuschen und tauchte wieder im Feld ein. Vorn ging inzwischen die Post ab, da erneut ein MP3-Player lockte.
Naja Michi, ich werde Dir live etwas singen müssen. Der Preis ging nach Leipzig.
DSC-Goldhelmchen zog mich in seinem Windschatten entlang des auseinanderfasernden Feldes nach vorn. Du kannst Dir sicherlich vorstellen, wie groß meine Freude war Christian, Dirk, Matze und Jantel wiedersehen zu können. Freudig bin ich an allen vorbei geschossen und hab den Schwung genossen. Neumi war ziemlich weit vorn und ich musste noch mal ausgiebig über das Pflaster in Ponickau drücken, um auch ihn wiedersehen zu können. In Gedanken noch bei der abgesprochenen Teamtaktik wollte ich das Tempo bis zum Berg, ach was 'Berg', Michi, Du kennst den Hügel vor Stölpchen, hochhalten, stellte aber bei einem flüchtigen Blick zurück fest, dass wir zu fünft vorm Feld rollten. Als wir dann oben immer noch vorm Feld lagen, werde ich wohl nie verstehen, habe allerdings auch zu wenige Erinnerungen an diese sauerstoffarme Zeit, um das Stück ausreichend genau rekapitulieren zu können.
Die Jungs haben hinten schön breite Schultern gemacht und wurden dabei von den Kopfjägern unterstützt. Die mussten ebenfalls bremsen, da gleich zwei ihrer Fahrer in unserer Gruppe vertreten waren. Und die beiden haben sicht nicht geschont. Ich glaube, sie bereuten schon in Stölpchen ihren Waagemut. Tapfer sind sie weitergefahren. Und wie willig die beiden auf Ansprachen reagierten. Michi, mit solch gehorsamen Nachwuchs brauchen wir uns um unsere Rente, unsere Zukunft keine Sorgen mehr machen. Der OSSV-Fahrer brauchte keinerlei Ansprache, der Jung hat gedrückt, was die Schenkel hergaben und es waren beträchtliche Oberschenkel. Wir haben ordentlich Tempo gemacht zu viert in der Fünfmanngruppe.
Hatte ich Dir eigentlich von der Spreewaldrundfahrt im April diesen Jahres berichtet? Am ersten Tag geriet ich mehr oder weniger zufällig in die Spitzengruppe um Kalz, Weber, Slavik und Grüning. Schon die Namen raubten mir damals den Atem und dann das Tempo. Wir hatten noch 15 Kilometer zu fahren. Mir hat es die Augäpfel rausgedrückt. Ich musste eine, zwei, drei Führungen weglassen, lag zwischenzeitlich nur hintendrauf. Dann hat Slavik eine unmissverständliche Handbewegung gemacht und ich wollte mich nicht weiter blamieren. Wir haben es geschafft, ich konnte auf den letzten Kilometern sogar wieder führen, ohne das die Geschwindigkeit zurückging. Und ich wäre nie auf die Idee gekommen, nach meinem Einbruch noch mit um den Sieg zu sprinten. Man, man, man, was war ich glücklich damals als letzter der sieben tapferen Ausreiser über die Linie zu rollen.
Oh, jetzt habe ich den Faden verloren, das Rennen ist halt vorbei, da kann man palavern. Ach ja, unser fünfter Mann in der Gruppe. Ich hatte ihn noch nicht beschrieben. Doch nein, eigentlich ist alles gesagt.
Die beiden Kopfjäger hatten sich nicht geschont, sichtlich alles gegeben. Sie waren glücklich das Ziel lebend zu erreichen. OSSV war jedoch beim Anblick des Zieles immer noch verdammt stark und verlor dann aber zu schnell die Nerven. Und dann zog da plötzlich ein schwarzer Schatten vorbei und setzte noch mal einen deutlichen Geschwindigkeitsakzent. OSSV und ich kreuzten nur hilflos die verschleierten Blicke.
Erinnerst Du Dich noch, Michi, was die Kopfjäger letztes Jahr beim Napoleoncup mit Schnie gemacht haben? Er hatte im Rundstreckenrennen gepatzt und dann erfolgte ein sauberer Schnitt. Seitdem muss er Hormontabletten schlucken und fährt wie der Teufel. Problematisch ist lediglich seine Anmeldung für die Männerklasse. Er hat jedes Mal ein Nachweisproblem. Ich hoffe, die Vereinspitzen der Kopfjäger vom Mut der beiden Mitfahrer überzeugt zu haben, befürchte aber grausame Rituale. Vielleicht kannst Du Deine guten Beziehungen zu Franco spielen lassen und den beiden das Schlimmste ersparen?
Matze hat im Haptfeld noch mal ordentlich Druck gemacht und ist mit Jantel und zwei weiteren Fahrern weggekommen. So stehen wir insgesamt super da. Das Rennen war perfekt organisiert, es blieb bis auf den Seniorenpurzelbaum ins Gras, sturzfrei, unsere Platzierungen können sich sehen lassen und wir haben trotzdem allen Mitfahrern reichlich Luft zum Atmen und Fahren gelassen.
Im Frauenfeld hielten einige tief die Luft an, als Beate Z. Aufstellung nahm. Sie erschien mir diesmal allerdings ziemlich angespannt und war gar nicht so gesprächig wie sonst. Oder aber sie hat unsere kurze und diesmal definitiv platonische Beziehung beendet. Mit wenigen Worten hielt Sie sich im Hauptfeld der Männer und fuhr einen klaren Sieg heraus. Franzi und Sandra haben tapfer gekämpft, wollten aber unbedingt Mister Zylinder mit ins Ziel nehmen und haben deshalb zu oft Rücksicht genommen. Du weißt ja, Frauen und deren sozialer Hang zur Fürsorge. Dafür hat Anke in ihrer Altersklasse einen deutlichen 2. Platz herausgefahren und trug körbeweise Präsente aus dem Festzelt. Das ist eine Frau die Familien ernähren kann.
Ich denke, wir werden die Einzelwertung beibehalten. Deine Idee mit der Mannschaftswertung klingt gut, hier sollten wir jedoch noch einige Jahre warten, ob sich das Kopfjägerleistungsniveau stabilisiert, sonst fahren die Knaben auch nur noch in der ersten Runde schnell, so ein rein rechnerischer Mannschaftssieg verführt zum faulenzen. Es soll ja solche Beispiele bei Rennen geben.
Mein lieber Michael, ich hoffe Dir mit meinen wenigen Zeilen, die lange Nachtschicht verkürzt zu haben und freue mich auf ein Wiedersehen zur Dienstagsrunde mit dem Sachsenmeister.
Es grüßt Dich ganz herzlich, Dein Dir treu ergebener
Rudi