Sonntagmorgen, Elbepark Kaditz-Mickten. Zwischen den Kids, die auf dem Weg ins Freibad den ersten Big Mäc ziehen und dem zahlreich vertretenen Hondafanclub, dessen Mitglieder bewundernde Blicke in reihum geöffnete Motorhauben werfen, während deren Frauen gelangweilt auf dem Bordstein lümmeln, lade ich mein Rad zwischen Picco und Holger und vertraue mich Jans Fahrkünsten an.
Auf dem Weg nach Görlitz bleibt uns gerade mal eine Stunde Zeit, die Ereignisse der letzten Woche Revue passieren zu lassen. Holgers jugendlicher Körper hat die ersten Schritte zur Wundheilung eingeleitet und seine sensible Psyche ist schon wieder auf ein Rennen eingestellt. Picco dem die Seele noch schmerzt, nach seinem DNF in Grimma, sitzt mit zuckenden Beinen im Fahrzeug und zählt die Tage bis er die Senioren leidenlassen wird. Und Jan zählt den höheren Verbrauch seines neueren Raumwunders und genießt die altersgerechten Einrichtungen a la Tempomat.
Unsere frühe Ankunftszeit ermöglicht es, bei trockener Straße und strahlendem Sonnenschein die Rennstrecke wenigstens teilweise abzufahren. Gregor gesellt sich zu uns und zieht uns im Windschatten seiner schulterbreiten Waden über die ersten Hügel. Lediglich Picco jammert und klagt. Rechts und links der Straße verweisen diverse Steigungschilder auf bis zu 17%ige Steigungen, doch auf der Rennstrecke verlaufen alle Steigungen sehr, sehr beschaulich. Zu Piccos Leidwesen zu beschaulich. Im weiteren Rennverlauf würde sich noch erhellen, was es bedeutet, wenn Picco klagt und versucht seine Unzufriedenheit zu kompensieren.8 Minuten nach den Seniorenfahrern durften wir starten. Kurz vor dem Start kamen die Jungs von Bike Kult aus Ihren Verstecken und stellten sich neben uns in die erste Reihe. Eine gefährliche Situation, drohte hier doch wieder Ungemach, war uns doch in einem unserer Vorjahresrennen von einem offensichtlich übersäuerten Mitfahrer Absprache und unsportliches Verhalten vorgeworfen worden. Allein ein Blick auf die Ausstattung eben jener Berliner Jungs zeigt aber das Ausmaß der Unvereinbarkeit unserer Interessen: während bei uns nur einzelne, angemessen und verschämt, amerikanische Oversizerahmen fahren, versuchen die Bike Kulter durch den Einsatz italienischer Komponenten den Hauch von Rennsportflair an ihre einheitlichen Teamräder zu zaubern.
Wesentlich einschneidendere Wirkung auf unsere explosive Startkonzentartion hatte die Görlitzerin, welche sich mit ihrem gelben Mountainbike und 50 cm breiten Lenker in die erste Reihe stellte. Beim mehrfachen aufgeregten Auf- und absteigen bekamen die umstehenden Fahrer immer wieder deren Tritte ab, ihr Lenker ragte bis zu meinem Vorbau, ihre Arme fuchtelten in der Luft herum, ihr Mundwerk stand nicht still. Jegliche Anfragen und Hinweise auf den zu erwartenden Startverlauf wurden freudig lächelnd mit dem Hinweis kommentiert, dass sie uns ja gleich vorbei lassen werde. Super. Mischka und Picco hatten es hinter der Dame noch schlechter erwischt.
Der Start, adrenalingeschwängert, ein harter Antritt, weg von der Tussi. Die erste Kurve. Weiter im sitzen. Gut, jetzt die Augen wieder zuschalten, Suunto zeigt 50 km/h. Das Gehirn schaltet sich jetzt ebenfalls wieder zu, wertet die Informationen aus, die Beine drehen abgekoppelt weiter. Ein Blick zwischen den Beinen hindurch zeigt das aufschließende Feld, „Zeit rauszugehen“ setzt sich das Gehirn über die Beine hinweg. Jan übernimmt und zieht weiter den Hügel hoch. Die ersten Jedermänner stehen wie Kühlschränke am Berg und fliegen wenig später hinten raus. Mischka attackiert und fährt los. Daniel geht mit und die beiden fahren ungestört vom Feld gemeinsam in den ersten etwas längeren Anstieg. Diese Schippe Sand nutzt Picco, um gleichfalls nach vorn abzugehen. Er trifft die beiden Ausreißer in dem Moment als Mischka seinem Mageninhalt nach hinten folgt und versucht wenigstens den Rest des Startgels inside zu behalten.
Wie schon in Zwenkau vor gut einem Jahr haben sich Picco und Daniel gesucht und gefunden und fahren nun locker tackernd dem Feld davon. Die Spitze des Hauptfeldes bleibt blau-weiß. Hier sei den Bikekultern für Ihre Anlehnung in der Farbgestaltung der Trikots an bewährte und erfolgreiche Vorbilder gedankt. Während Picco und Daniel also schwatzen, bieten Michi, Jens und Dirkus dem Feld Windschatten. Auf einer der kurzen Abfahrten, gemütlich auf dem Lenker liegend, vor dem Feld einherkullernd, bin ich etwas überrascht, die Ausreißer rechts von mir gegen meine Fahrrichtung fahren zu sehen. Gerade rechtzeitig konnte ich meine geographischen Grundkenntnisse abrufen und rekapitulieren, das dann zwingend eine Spitzkehre/scharfe Kurve vor uns liegen muss. Dies passte auch zu den nun sichtbar werdenden Absperrungen und den abgestellten Polizeifahrzeugen. Der Anstieg nach der Kurve war dann zwar steil, aber zum Glück für manchen Mitfahrer nur kurz. Das Feld kam geschlossen hoch und der Puls ging bald wieder runter. Selbst die Lokalfavoriten vom PSV Görlitz hielten sich mit Angriffen zurück, offensichtlich waren wir auch so leicht gedrosselt noch schnell genug. Auch die Gröditzer Fahrer, getarnt durch lochfreie Hosen, genossen die rauschende Fahrt im Jedermannpeleton.
Zu Beginn der zweiten Runde rumpelt es hinter uns im Feld. Frank rappelt sich auf und versucht mit Martins Unterstützung wieder aufzuschließen. Leider lässt sich das Loch nicht mehr zufahren, Dirkus und Jens forcieren das Tempo am Berg und lassen den Gestürzten keine Chance. Noch am gleichen Abend wird eine kompetente Röntgenärztin feststellen, das Franks Schlüsselbein an der gleichen Stelle wieder gebrochen ist. Gut, das Frank nur noch die zweite Runde gefahren ist, schließlich fährt man mit einem Bruch nicht mehr als zwei Runden.
Zwischenzeitlich hatten wir im Hauptfeld die Spitzkehre und den folgenden Anstieg erreicht. Michi forderte mich wieder einmal zum Rolltest heraus und musste leidvoll erkennen, dass man mit dem doppelten Gewicht auch doppelt so schnell rollen kann. Eine Erfahrung die Picco schon auf manch Dienstagsrunde machen musste. So günstig an der Spitze des Feldes liegend, nutzte ich den Schwung und stiefelte den Anstieg hoch. Ein herumstehender Bikekulter wollte auch nach kurzem aber innigen Dialog nicht mitfahren und so versuchte ich allein, das Feld etwas zu dezimieren. Die Nummer 7, PSV Görlitz, feuerte mich im oberen Teil des Anstieges nochmals an, weiterzufahren, auf meinem langatmigen und nett formulierten Hinweis hin, übernahm er für infinitesimale Bruchteile einer Sekunde die Spitze, um dort sofort hektisch mit den Ellenbogen zu wedeln wie ein totkranker Schwan. Weitere Sekunden der einsamen Arbeit im Wind später, wurde ich wieder vom Verfolgerfeld liebevoll aufgesaugt.
Eingangs der dritten Runde schlug dann Holgers große Stunde. Nachdem Jan sämtliche Überredungskünste, Zärtlichkeiten und Versprechungen dieser Welt losgeworden war, setzte sich Holger in Bewegung und katapultierte sich in die Steigung. Man sah förmlich die Körner auf die Straße rieseln. Er litt, wie auch die verzweifelten Bikekulter, die versuchten jede unserer Attacken mitzugehen. Holger litt und starb im oberen Teil des Berges. Das Feld rollte erschöpft auf die Spitzkehre zu und dort wiederholte ich nach dem Rollsieg über Michi nochmal meine Vorrundenstrategie. Diesmal kam ein Bikekulter und sogar ein Görlitzer mit und es gelang uns einige Male durchzuwechseln, während ich meine Idee verfluchte und mir den Zahnschmelz von den Zähnen biss. Bikehouse Kamenz hatte sich an die Spitze des Feldes gesetzt und rollte uns im Tempo eines gediegenen Regionalexpresses auf. Mit brennenden Augen und Oberschenkeln versanken wir in den Tiefen des Feldes.
Derart geborgen, bat ich Dirkus am letzten Anstieg nochmal zu attackieren. Mischka sollte dann oben verlängern, missverstand mich jedoch und fuhr noch vor Dirkus los. Wenigstens ruckte es deutlich im Feld und sein Einsatz lichtete wieder die Reihen. Weisungsgemäß, selbstlos und kraftvoll packte Dirkus seinen Lenker und riß ein Loch. Hektisch zappelten die Bikekulter, Bautzner und Görlitzer hinterher. Das Feld zog sich in die Länge. Plötzlich tauchen mit einem Fahrer aus dem Muldental und seinem rot-weiß-gelben Trikot völlig neue Farben in der Spitze auf. Nach der Linkskurve gehen die Bautzner in die Vollen. 3 Mann setzen sich eine Radlänge ab. Die Bikekulter sprechen sich aus und stimmen über die Taktik ab, versetzen dabei Ihr Hinterrad, entschuldigen sich, fahren weiter und das Loch zu. Ich wähne mich hinter den beiden in der richtigen Position für Michi den Sprint anzufahren.
Wir überqueren die Gleise, biegen auf die Hauptstraße ab. Es reisst wieder ein Loch zur Spitze. Das Loch wird zugehackt. Ich fühle mich breit und lustlos. Noch ist das Ziel nicht in Sicht, die Straße steigt leicht an. So ist das Tempo angenehm. Da ist Michi neben mir, hängt hinter einem anderen Fahrer. Wie jetzt?! Eifersucht macht sich in mir breit! Heya. Michi!! Es gibt hier nur einen Mann für Dich! In dem Moment ist die Spitze weg, rechts und links hinter mir. Allein im Wind und mit meiner Eifersucht trete ich, den Kopf tief über den Lenker gebeugt, die Beine wirbeln, da das Zielband, jetzt noch ein Stück bis ich die Aufschrift lesen kann, noch ist keiner neben mir, dann schiebt sich Michi vor. Genau im richtigen Moment. Er fährt los und zieht durch. Eine Radlänge hinter ihm versucht ein verzweifelter Görlitzer zu folgen. Er scheitert und Michi triumphiert. Ich rette mich im Tempo einer Schrankwand zur Ziellinie. Picco musste sich der Sprintgewalt Daniels beugen, doch mit Michi auf Platz 3 hat sich unser Einsatz gelohnt und wir hatten reichlich Spaß auf den knapp 50 km.