
Der Startschuss fiel pünktlich und das Rennen nahm seinen unerbittlichen Verlauf. In der ersten Runde attackierten einige der größeren Teams und hielten damit das Tempo angenehm hoch. Gemeinsam mit Dirk konnte ich die lehrbuchhafte Taktikumsetzung von DSC, Snapfish und der notebooks bewundern. In den wenigen Momenten ausreichender Sauerstoffsättigung des Blutes versuchten wir unser Glück in einer der angreifenden Gruppen, konnten und mußten aber jedes Mal nach kurzer Zeit in der Geborgenheit des aufmerksamen Feldes regenerieren. Bei all dem Genuss ein wirkliches Rennen zu fahren, der Freude über das koordinierte und nahezu schweigsame Fahrerlebnis und die wenig schweißtreibenden Temperaturen geriet die Getränkeversorgung etwas ins Hintertreffen. So kam es dann, das ich das edle Reichenberger Plaster mit vollen Trinkflaschen absolvieren musste. Dadurch hatte ich beide Hände voll zu tun, die Flaschen im Halter zu fixieren, zwischendurch etwas am Lenker ziehen, Druck aufs Pedal zu bringen und die Lücke zum Vordermann zuzufahren. Auf dem folgenden Abschnitt bis zur Abfahrt wurde auch noch schön weiter auf der Windkante gefahren und mir meine Entscheidung dieses Rennen mit zwei Trinkflaschen zu fahren, gehörig um die Ohren gehauen. Das war dann auch der Moment in dem mehr Adrenalin als Blut in meinem sensiblen Kreislauf zirkulierte. Nach der ersten Zieldurchfahrt begann ich im Hinblick auf die noch anstehenden drei Pflasterüberquerungen systematisch meine Flaschen zu leeren.
Inzwischen war es einer Gruppe gelungen sich abzusetzen und das Tempo des Feldes pendelte sich im oberen Wohlfühlbereich ein. Bei dem Ausruf "Ach ein Picardellics ist auch wieder dabei" schnellte mein Puls in bisher ungeahnte Höhen. Lag die Betonung etwa auf "ein", wollte der Sprecher sich über unsere kleine Abordnung lustig machen? Oder fand er bemerkenswert, dass nach 35 km noch immer Picardellics im Feld zu finden sind? In Sekundenschnelle liefen die veröffentlichten Rennberichte der letzten 40 Jahre vor meinem geistigen Auge Revue, die Gedanken überschlugen sich: Hatte ich das sensible Gemüt einer mitreisenden Dame verletzt, das formelle Regelungsbewußtsein eines hyperventilierenden Betriebsratsmitgliedes angekratzt oder gar einem aufstrebenden Jungamateur zu wenig Tribut gezollt? Nein, nichts davon traf zu. Es war lediglich die in einem der letzten Berichte Wort gewordene Überlegung den Solidarzuschlag Ost zukünftig einem etwas desolat gekleideten Fahrer unserer Hauptstadt zur Verfügung zu stellen, die zu der kurzen und freundschaftlichen Kommunikation führte. Gerade in diesem Zusammenhang (effiziente Ausnutzung der bereitgestellten Turn- und Sportbekleidung) glänzte diesmal der RSV Gröditz mit rosa schimmernder Haut in der mehrfach gelochten Hose. Es mag Momente der Leidenschaft, der aufsteigenden Lust und der unbeherrschbaren Begehrlichkeiten geben, in denen eine netzähnlich erscheinende Hose über einem prallen, üppigen Hintern positive Assoziationen auslösst, dies jedoch eher Nachts gegen 2.00 Uhr im roten Separee als bei einem zügig bestrittenen Radrennen.
In der dritten Runde unserer Genusstour wurde dann nochmal ernsthaft Windkante gefahren, womit die Steuerung meines Körpers zeitweise nur noch dem Instinkt und diversen angeborenen Fähigkeiten oblag. Glücklich in die letzte Runde eingebogen, wurde klar, das es nun keinen triftigen Grund mehr geben konnte, abreißen zu lassen. Das Feld wurde etwas unruhiger, schneller und einige Einzelfahrer, ja sogar die Sportfreunde aus dem Harz schoben sich nach vorn. Nachdem die große Gruppe auch auf dem Pflaster nicht zeriss, schob sich alles auf der Abfahrt zusammen und wir radelten nahezu
