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„Král Šumavy“ (Anne)

Die AusgangssituationImage
war gekennzeichnet von Trägheit nach dem Urlaub und einer gewissen Übermüdung, weil in der Woche davor schon wieder so viel Arbeit auf dem Schreibtisch lag. Zur Unlust hinzu kamen Schmerzen im Knie bei Lutz und in den Fußballen bei Anne in der letzten Zeit. Aufgemacht zum Radrennen „König des Böhmerwaldes“ haben wir uns trotzdem: Lutz und Anne. Start und Ziel ist in Klatovy bei 400 Hm. Es gibt eine 150 km, 200 km und eine 240 km Runde. Wir haben uns für die lange Route entschieden. Aus Prinzip. Das Streckenprofil der 240 km Runde führt hinauf auf bis zu 1100 m und schwankt permanent zwischen 500 und 900 m (Summe: 4600 Hm).

 Davor hatte ich eigentlich weniger Angst, weil ich durch Lutzens Schule inzwischen gelernt habe, dass ich irgendwie immer oben ankommen werde. Mehr Sorge bereiteten mir die Erzählungen vom schlechten Straßenbelag, insbesondere hinsichtlich meiner Füße, denen das dann noch mal richtig Freude bereitet, wenn sie eh schon bei jedem Pedaltritt schmerzen. Aber schauen wir mal, es kommt sowieso meistens anders.

Klatovy
Klatovy ist eine Kleinstadt mit wunderschönem Marktplatz, umsäumt von Kirchen und Türmen. Beim abendlichen Stadtbummel treffen wir noch bekannte tschechische Radfahrer. Der Mond leuchtet uns mit seinem vollen Gesicht beizeiten in den Schlaf. Denn:

Der Morgen des Rennens
Der Wecker klingelt 4:30. Es ist stockdunkel und kalte Luft weht ins Zimmer. Der Sommer macht ernst mit seinem Abschied und ich habe überhaupt keine Lust aufzustehen. Wären wir nicht so weit gefahren, hätte ich mich nicht schon monatelang auf dieses Radrennen gefreut, wäre ich einfach liegen geblieben.

Auf dem Gang werden Ketten geölt, Luftpumpen quietschen, Ventile Pfeifen. Es herrscht Betriebsamkeit zu Beginn der Dämmerung, Aufbruchstimmung! Nun werde ich auch kribbelig, weiß aber, dass ich nicht wirklich fit bin.

6 Uhr brechen wir auf zum Start auf dem Marktplatz, wo sich die Fahrer schon sammeln. Knattern des Leerlaufes, Musik vom DJ und Pedalenklickern unter einem morgenblau leuchtenden Himmel. Noch ist überall Schatten.

Startschuss
7:30 fällt der Startschuss für die 240-km und 200-km-Runde. Die 150 km Fahrer starten erst um 9 Uhr. Sehr diszipliniert und dennoch zügig schlängeln sich 480 Fahrer aus der Stadt hinaus.
Noch liegt Nebel in den Tälern und das Land liegt wunderbar still. Doch der Schatten und das Schnurren der Leerläufe gehen langsam über in die ersten orangenen Sonnenstrahlen, die uns erfassen und knarzende Tritte der schnaufenden Fahrer. Das Hauptfeld ist schon längst verschwunden und meine Finger geben allmählich die Meldung durch, dass sie noch nicht erfroren seien (dass das immer so lange dauern muss). Lutz hat schlauerweise lange Handschuhe mitgenommen, um die ihn sicher einige beneiden.

Die erste Hälfte
Um es vornweg zu nehmen: Meine Eindrücke von der Strecke sind recht ungeordnet, weil ich zum Teil mehr mit mir zu tun hatte, als dass ich Ortschaften verfolgen konnte. Aber ich habe ja Lutz, mein 2. Gedächtnis und eine wandelnde Landkarte, den ich im Nachgang immer noch fragen kann: „Sag mal, wo war denn die Stelle, wo sie dich gefilmt haben?“ usw.

Die erst Labe bei km 46 wurde klassisch übergangen, erst bei 100km wurden die Flaschen neu aufgefüllt und vom Nahrungsangebot Gebrauch gemacht. Was da wären: Hörnchen mit Käse oder Grievenschmalz, aufgeschnittene Salami, Mortadella, Rosinen, Quarktaschen, Iso-Getränke, Bananen und Orangenachtel.

Der Straßenbelag ist bislang sehr gut, abgesehen, von einem Teilstück groben Kopfsteinpflasters. Lutz lässt hier in großer Manier alle anderen Männer unserer Gruppe stehen. Das Leiden dauert eben länger, wenn man langsamer fährt...

Ich frage mich so langsam, wie das werden soll, wenn ich bei km 100, was noch nicht mal die Hälfte ist, schon solche Lust verspüre, mich einfach dem Sonnenschein auf einer Wiese am Wegesrand hinzugeben. Noch 140 km... Jegliche Wunschträume über einen Platz auf dem Treppchen begrabe ich allmählich. Ich werde froh sein, im Ziel anzukommen.

Aber die Nahrung hilft erstmal, zusammen mit dem Profil: Es geht zunächst steil in feinen Kurven, dann seicht bergab. Es macht auf einmal richtig Spaß, weil es so leicht geht. Es schließt sich dann zwar – logisch – gleich wieder ein kräftiger Anstieg an (600 m auf 1150 m) und trotz, dass es eigentlich nicht steil ist, schiebe ich mich im letzten Gang bergauf. Es wäre ja auch Quatsch, die Straße über den Sattel zu führen, der verlockend den Himmel durch die Fichten schimmern lässt. Nein, dicht am Gipfel vorbei muss es gehen!

Lutz muss ganz schön bummeln.

Das Dach des Böhmerwaldes
Jeder Anstieg wird belohnt (zu diesem Zeitpunkt war das auch noch so). Dieser mit dem großen Gefühl von Weite und Freiheit auf den Hochebenen des Böhmerwaldes. Grün und Blau: Die Gebirgswiesen vor den Fichtenwäldern unter einem Himmel aus einem Guss. Keine Schlieren, alles ist klar. Die Gedanken legen noch 2 m Schnee auf die Landschaft und ich bin im Urlaub des vergangenen Winters.

Die Träumerei ist vorbei, sobald es in die nächste Abfahrt geht. Konzentration: Jederzeit könnten steile Kurven, fiese Schlaglöcher im Wechselspiel von Licht und Schatten oder Splittflecken in Kurven auftauchen. Bergab geht es natürlich nur, um von den 500 „verlorenen“ Höhenmetern 400 gleich wieder draufzulegen.


Die zweite Hälfte
In der zweiten Hälfte zeigt der Böhmerwald seine Zähne. Wer König werden will, muss es sich verdienen! Dazu geht es erstmal wieder ins Tal. Die Straße wird schmaler, Überholvorgänge in der Gruppe verbieten sich hier. Der Gedanke an eventuellen Gegenverkehr kommt mir erst jetzt, wo ich den Bericht schreibe. Im Tal holpern wir über ein Holzbrücke. Ein Sägewerk bestimmt den Takt der Siedlung. Ich habe das Gefühl, mal kurz das 19te Jahrhundert im Vorbeifahren gestreift zu haben. Dann schickt man uns wieder bergauf, von 600 auf 1000 Meter. Ich habe keine Erinnerungen mehr an diesen Anstieg, wahrscheinlich weil sie von der folgenden Abfahrt überprägt wurden:

Die aufgestellten Warnschilder „Pozor nebezpečný sjezd“ klingen mit meinen Halbkenntnissen slawischer Sprachen wie „Achtung – kostenloses Essen“. Aber noch fließt genug Strom im Hirn, um innerlich über die Freud’schen Übersetzungsphantasien zu schmunzeln und der Realität klar ins Auge zu schauen: Achtung, gefährliche Abfahrt. Einige Kilometer später bin ich froh, dass diese vorbei ist und ich meine Kochen, die sich alle in einer Körperecke gesammelt hatten, wieder zurücksortieren kann. Die Finger lassen sich sogar noch vom Unterlenkergriff öffnen, auch die Landschaft zieht wieder horizontal vorbei ohne zu beben.

Der Weg bleibt schmal, was ihm jeglichen Freiheitsgrad bezüglich des Gefälles einräumt. Das wird ausgenutzt: Es geht wieder steil bergauf. Und es gibt neue Wegbegleiter. Die 150-km-Runde trifft mit uns zusammen. Wir rollen das Feld wohl ziemlich von hinten auf. Bei Betrachtung der Gestalten muss ich an Filmdokumentationen der Tour de France oder der Friedensfahrt von vor 60, 70 Jahren denken: uralte Stahlrahmen, Lederhelme, Baumwolltrikots, doppelt um die Schulter gewickelte Ersatzmäntel. Ich habe einfach nur Respekt. Besonders vor jenen, die sich fröhlich pfeifend auf diese Weise auch noch ein Fest aus der 150-km-Tour machen. Gesichter, die in Erinnerung bleiben werden.

Es wird noch steiler. Links und rechts des Weges wird abgestiegen, geschoben und geschnauft. Letzteres auch in der Mitte. Ich denke mir: „Man, da haben die ja noch mal einen ganz schönen Berg eingebaut für die 150ger.“ Es waren nur 250 Höhenmeter und die geht es auch postwendend wieder hinab.

Der Tacho steht. Es sind immer noch 60 Kilometer. Jede Labestelle wird dankbar aufgenommen. Alle, die uns dort umgeben sehen erschöpft aus. Man greift mit Begierde und stillschweigend zu den Speisen. Jeder hängt seinen Gedanken nach.

Ich hatte mir so vorgestellt, dass das Schwierigste nun hinter uns liegt. Jetzt müsste es doch langsam „nach Hause“ gehen. Denkste!: Jonny spricht immer von der Straße, die an die Wand genagelt wurde. Die Tschechen können das ganz wunderbar und sie führen einen Radmarathon auch nach 190 km noch mal 10 km lang kräftig bergauf. Stellenweise hatte ich Mühe, mit meinem Gewicht überhaupt die Pedale nach unten zu drücken. Der rechte Mittelfinger sucht am Schalthebel nach einem nicht vorhandenen größeren Ritzel. Wieder wird viel geschoben, ich muss mir meinen Weg manchmal freirufen. Meine ganze Wut über diese Anstrengung lasse ich an einem verwirrten Huhn aus, dass quer über den Weg läuft: Ein lauter Schrei „Hau ab!“ wird trotz Sprachbarriere von ihm perfekt umgesetzt. (Gott sei dank!) Hinter mir hat ein Radkamerad noch die Kraft darüber zu lachen.

200 km. Oben. Die letzte Labe. Ich habe keinen Hunger mehr. Trinke nur noch und sitze im Gras. Für einen Moment streiche ich das Fahrrad aus meinem Gedächtnis und genieße den Ausblick und die Atmosphäre. Jetzt ist mir alles egal. Es sind noch 40 km. Mal sehen, was die sich noch ausgedacht haben. Lutz nutzt die Pause um doch mal sein klappernden Steuersatz nachstellen zu lassen. Die welligen Straßen forderten ihren Tribut auch vom Material. Mit einem freundlichen „Gute fahren!“ schickt der Mechaniker Lutz wieder auf die Strecke.

Eine Belohung: Es geht fast nur bergab. Von knapp 1000 auf 400 Meter. Die Straßen sind wieder glatt. Es bildet sich noch mal ein kleines Grüppchen und die Führungsarbeit geht reihum. Ein wunderbares Gefühl von Zusammenhalt. Nach einem kleinen Hügelchen waren wir aber nur noch zu dritt. Und zu dritt rollen wir auch auf Klatovy zu, dass seine Kirchturmspitzen schon zeigt. Einen kleinen Bogen drumherum gibt es natürlich trotzdem noch, als ob ein Dramatiker die Strecke gedichtet hätte. Es ist dann ein wunderbares Gefühl, nach solch einer Strapaze ins Ziel zu rollen.


Im Ziel
Ich bin einfach nur glücklich. Irgendwie ging es doch, was man sich manchmal nicht vorstellen konnte. Vielleicht ist jetzt der Knoten der Urlaubsträgheit geplatzt. Lutzens Knie haben nach 100 km wieder gezwickt. Aber erträglich. Meinen Füßen hat geholfen, dass ich die Schuhe vor dem Start lockerer gestellt hatte. Über Plazierungen und Zeiten lohnt es sich dieses Mal nicht zu schreiben. Das Ziel ist erreicht, wieder einen schönen Marathon gefahren zu sein, da uns dazu noch von der verbliebenen Urlaubslethargie befreite.

Nach der Dusche gibt es Gulasch in der Schulkantine. Wieder strömen Erinnerungen an Vergangenes durch den Kopf. Zeichnungen der Schulkinder säumen die Gänge. Hier, wo jetzt alle Plätze von erschöpften Radfahrern besetzt sind, zappeln sonst ungeduldige Schulkinder auf den verschlissenen Holzstühlen... Wir gehen noch einmal durch den Zielbereich, um die Stimmung einzufangen und fahren dann nach Dresden, um am Sonntag beim Ponickauer Dreiecksrennen des Vereins als Helfer dabei zu sein.

Ein Wort zur Organisation
Es gibt nur Gutes hervorzuheben:
-  Alle Kreuzungen, an denen wir Vorfahrt hätten gewähren müssen, waren so abgesichert, dass wir durchfahren konnten.
-  Die Zeiterfassung geschah über Transponder. Pfand waren ein T-Shirt vom „Král Šumavy 2006“ und ein Essensgutschein, die bei Rückgabe ausgeteilt wurden.
-  Die Ergebnisse wurden zeitnah ausgedruckt und im Zielbereich ausgehängt.
-  Die Verpflegung war prima und reichlich – Gleiches lässt sich von den Helfern sagen.

In Vorfreude auf nächstes Jahr
Anne & Lutz

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